Barfüßiges Sein (Hobby? Barfuß! 2)

Schorsch, Thursday, 24.08.2000, 20:08 (vor 8859 Tagen)

Hallo, liebe Barfußgemeinde,

den nachfolgenden Text fand ich auf der Homepage des Karmeliterordens. Ich finde, er thematisiert die christlich-spirituelle Seite des barfüßigen Seins ganz ausgezeichnet:

"DIE IM HERZEN BARFUß SIND" (WERNER KALLEN / Aachen)

Wer schon einmal mit bloßen Füßen über einen Sandstrand gelaufen ist, kennt das wunderschöne Gefühl, in unmittelbarem Kontakt mit dem Boden, mit dem Sand zu stehen. Wenn dann noch das Wasser des Meeres die Füße umspült, wird dieses Empfinden zusätzlich intensiviert. Liefe man - im Extremfall - mit Bergsteigerschuhen über den selben Strand,könnte man dieses unmittelbaren Kontaktes nicht inne werden.

In einem Gedicht des tschechischen Lyrikers Jan Skácel lautet ein Vers: für alle die im herzen barfuß sind

Dieses Bild - sich als "im herzen barfuß" entdecken zu können - inspiriert mich zu der Überlegung, ob sich so nicht auch "Kirche" verstehen ließe: als ein Weg derer, die sich als im Herzen barfuß verstehen.
Kirchliche Erneuerungsbewegungen nannten sich im Laufe der Geschichte des öfteren "Discalzeaten" (wörtlich: Unbeschuhte) oder "Barfüßer". Sie setzten mit ihren bloßen Füßen (oder nur mit Sandalen statt mit kräftigen Schuhen) ein äußeres Zeichen für ihren Willen, auf neue, verletzbare Weise empfänglich zu werden für das Leben, für den Glauben, für die gestaltende Kraft der eigenen Herkunft und Quelle. Es gibt Wegstrecken, da ist sicheres und festes Schuhwerk unerlässlich; etwa in den Bergen, auf Geröllhalden oder auf steinigem Gelände. Es gibt aber auch Wege, da kann man barfuß laufen. Ohne übertriebenen Schutz.Womöglich muss man zuweilen sogar barfuß laufen: Sonst entgeht einem sowohl das schöne Profil des Weges - beispielsweise der Strand - wie auch das Gefühl für die eigenen Füße.
Kirchlich gewendet: Ein Übermaß an institutionellem, organisatorischem oder programmatischem "Schuhwerk" hindert am lebendigen, direkten Kontakt mit der Wirklichkeit, wie sie jetzt und heute ist. Ebenso kann eine bestimmte Art von moralisierendem, dogmatisierendem und ideologisierendem "Schuhwerk" die eigenen Füße vielleicht schützen
vor äußeren Gefährdungen und mir die jeweils "Anderen" vom Leibe halten; sie kann aber auch so abschnüren, dass die eigenen Füße gefühllos werden und ihre Kontaktfähigkeit, die notwendige Bodenhaftung verlieren. Sich als im Herzen barfuß entdecken, hat eine befreiende und eine verletzliche Seite: Die befreiende Seite besteht in der "Strand"-Erfahrung, dass man die bisher gewohnten Schutzvorkehrungen nicht mehr nötig hat. Die barfüßige Gehweise ist auch leichtfüßig, sie ist entlastet von manchem Ballast.
Die verletzliche Seite besteht darin, dass mit der Zurücknahme überflüssiger Sicherheitsmaßnahmen die eigenen Füße und das eigene Herz Spuren des nun unmittelbaren Kontaktes davontragen. In der barfüßigen Gehweise werde ich auch verwundet. Am Sandstrand etwa durch Glasscherben oder scharfe Muschelschalen. Möglicherweise fürchten
wir uns ja genau davor und wollen lieber ungeschoren davonkommen.

"Im Herzen barfuß sein" - ginge das wirklich? Nahbarkeit schließt Verwundbarkeit ein. Ein unberührbares und ungerührtes Leben ist auch ein unnahbares Leben. In einer Heilungsgeschichte sagt Jesus zu dem Taubstummen bezeichnenderweise: Öffne dich! Mk 7,34) Nicht: etwas. Auch nicht: etwas an dir. Dich. Die personale Mitte - das Herz - will geöffnet sein. Barfüßige Kirche. Empfindungsfähig und verletzbar wie eine nackte Fußsohle. Ein Ort für die, die im Herzen barfuß sind. Kirche in der Freude ursprünglicher und eigener Erfahrung. Unaufgezwungen. Aber selbst tief eingesenkt in die tragende, freiheitseröffnende Mitte. Kirche in wagendem Zutrauen:
"... der Herr befiehlt seinen Engeln, dich zu behüten auf all deinen Wegen. Sie tragen dich auf ihren Händen, damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt" (Psalm 91,11f).

Ein schöner Text, meine ich. Wer darüber hinaus in der Zeitschrift der Karmeliter nachlesen will, hier ist die Quelle:

http://www.fast4net.de/karmel.bkw/KARMELimpulse.htm

Herzlichst füßt

Schorsch


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