Barfuss durch Berlin (Hobby? Barfuß! 2)

Thorsten @, Saturday, 05.08.2000, 04:43 (vor 8879 Tagen)

Im Frühsommer dieses Jahres ergab es sich, dass ich beruflich nach Berlin musste, und ich habe dort einen Tag zur Stadtbesichtigung drangehängt. Da mich in Berlin garantiert niemand kennt, hatte ich mir vorgenommen, endlich einmal Barfuss durch eine große Stadt zu laufen. Als ich an jenem Morgen im Hotel aufwachte, stellte ich mit Befriedigung fest, dass es ein sonniger Tag werden würde. Eigentlich wollte ich zunächst mit Schuhen in die Stadt fahren, um sie dann bei einer guten Gelegenheit auszuziehen. Bestärkt durch den Umstand, dass man das Hotel (der Charlottenburger Hof) verlassen konnte, ohne am Portier vorbei oder durch eine belebte Hotelhalle zu müssen, beschloss ich jedoch "mutig", meine Schuhe von vorneherein im Hotelzimmer zu lassen. Obwohl es ja physikalisch gesehen für meine Füße eigentlich dasselbe ist, ob ich die Schuhe im Rucksack habe oder nicht, fühle ich mich im Kopf doch irgendwie "freier", wenn ich gar nicht erst die Möglichkeit habe, in ungünstigen Situationen meine Schuhe anzuziehen.
Es war schon ein komisches Gefühl, mich zum ersten Mal mit nackten Füßen und am helllichten Tag den Blicken der Leute auszusetzen. Ich trug zwar eine lange Jeans, hatte die Hosenbeine aber zweimal umgeschlagen, so dass meine Füße für die Leute gut sichtbar waren. Ich versuchte, so wenig wie möglich aufzufallen und den Leuten nicht direkt ins Gesicht zu sehen (vielleicht ein Fehler). Die S-Bahnstation Charlottenburg befand sich direkt gegenüber vom Hotel. Der Boden dort war sehr dreckig, und ich hatte sofort schwarze Fußsohlen, was mir schon recht peinlich war. Gott sei Dank waren der Bahnsteig und die S-Bahn am späten Vormittag so gut wie menschenleer, so dass ich unbehelligt zum Bahnhof Zoo gelangte. Als ich dort ausstieg, erwartete mich geschäftiges Treiben, und keiner achtete auf meine Füße. Jeder hatte mit sich selbst zu tun und hastete zu den Zügen oder sonst wohin. Im Innern des Empfangsgebäudes fiel mir ein älterer Obdachloser mit einer Flache Schnaps in der Hand auf, der ebenfalls Barfuss lief ... na ja.
Auch draußen auf dem Ku'damm nahm keiner der Passanten Notiz von mir. Das gab mir Mut, mich ungezwungener zu bewegen und meine nackten Füße als selbstverständlich anzusehen. In der Nähe der Gedächtniskirche gibt es einen großen Brunnen, in dem sich einige Kinder, aber auch Erwachsene die Füße kühlten. Hier trank ich einen Kaffee und fiel wirklich nicht mehr auf, sondern war eben einer von vielen. Weiter ging's dann Richtung KaDeWe. Ich wollte immer schon mal wissen, wie es sich barfuss in einem großen Kaufhaus shoppt. Zuhause ist das halt nicht möglich wegen der Angst vor Entdeckung durch Bekannte. Im Kaufhaus haben mich schon einige Leute komisch geguckt. Einige haben mir sogar richtig lange hinterhergeschaut, das war mir schon etwas unangenehm. Ich war aber nun schon seit 3 Stunden barfuss unterwegs ohne dumm angemacht zu werden, und wurde immer selbstsicherer.
Es ging dann weiter Richtung Tiergarten, und im Tiergarten parallel zur Straße des 17. Juni auf die Siegessäule zu. Das war schon eine ziemlich lange Strecke, und die Wege im Tiergarten waren teilweise geschottert. Hier bewährte sich aber mein regelmäßiges heimliches Training zuhause. Meine Fußsohlen machten mir keinerlei Probleme. Das absolute Mega-Erlebnis war dann der Weg über die steile, enge Wendeltreppe auf die Siegessäule! Hier bin ich vielen Touristen begegnet, die größtenteils konsterniert auf meine Füße starrten und deren Blicken ich wegen der Enge auch nicht ausweichen konnte. Nach dieser "Schocktherapie" konnte mich im weiteren Verlauf des Tages nicht mehr viel belasten. Auf jeden Fall war es ein unglaubliches Erlebnis von Freiheit, so ganz barfuss (und auch ohne Schuhe im Gepäck) auf Berlin herabzusehen.
Ihr könnt Euch denken, wie es weitergeht: Natürlich wanderte ich auch noch durch's Brandenburger Tor (in den Reichstag habe ich mich nicht getraut). Von dort aus ging ich dann weiter zum naturkundlichen Museum. Ihr merkt, ich habe an diesem Tag aber auch fast gar nichts ausgelassen. Der Weg dorthin war weiter als ich dachte, und ich bemerkte zum ersten Mal leichte Schmerzen an den Fußsohlen. Ich hatte den Eindruck, dass das lange Laufen auf Asphalt und Gehwegen meine antrainierten Schwielen so langsam wegschliff und die Fußsohlen empfindlicher wurden. Im Museum angekommen, war ich mir gar nicht sicher ob man mich überhaupt reinließ. Ich hatte ja auch keine Möglichkeit, mir notfalls Schuhe anzuziehen. Die Dame an der Kasse konnte meine Füße gar nicht sehen, da sie hinter einem Tresen saß. Die Kartenabreißerin hat mich dann allerdings schon von oben bis unten gemustert, mich aber anstandslos reingelassen. Im Museum selbst war nicht viel los, der Boden war aus glattpoliertem, kühlen Stein, was meinen gebeutelten Füßen sehr wohl tat. Die Hauptattraktion im Museum ist ein riesiges Saurierskelett, vor dem man sich wirklich winzig vorkommt, echt beeindruckend! Ich kann Euch nur empfehlen, das Museum zu besuchen, wenn Ihr mal in Berlin seid. Nun passierte doch noch was kurioses: Ein älterer Museumswächter in Uniform entdeckte meine nackten Füße und hatte fortan nichts besseres zu tun, als um mich herumzuschlawänzeln. Getreu dem Motto: Wer barfuss läuft, ist kriminell oder wenigsten verdächtig. Wirklich unangenehm. Ich habe dann auch bald das Museum verlassen. Der Museumswächter ist mir, allerdings ohne etwas zu sagen, bis zum Ausgang gefolgt.
Draußen spürte ich meine Füße schon sehr, ich hatte ja auch einige Kilometer zurückgelegt. Deshalb suchte ich die nächste U-Bahnstation auf, um ins Hotel zurückzukehren. Im Gegensatz zum Vormittag war nun natürlich mehr los. Der unterirdische Bahnsteig war voll mit Wartenden und zudem extrem dreckig. Viele Leute schauten mir geringschätzig auf die mittlerweile sehr schmutzigen Füße. Wenn ich in dieser Situation Schuhe dabei gehabt hätte, wäre ich wohl schwach geworden. Im Nachhinein bin ich aber froh, die Situation gemeistert zu haben. Die U-Bahn selbst war bis auf den letzten Platz besetzt, und ich saß auf einem Platz quer zur Fahrtrichtung. So konnte ich meine Füße natürlich nicht unter einer Bank vor mir verstecken, und mir gegenüber saßen einige Jugendliche, die andauernd auf meine Füße schauten, sich was zuflüsterten und kicherten. "Da kommst du jetzt auch noch durch", dachte ich bei mir. Im Hotel angekommen, habe ich mir dann erst mal die Füße gewaschen und dabei entdeckt, dass meine Fußsohlen doch ziemlich rot bzw. wundgescheuert waren. Bereut habe ich meinen barfüssigen Ausflug aber keineswegs, im Gegenteil. Ich freue mich schon auf ein ähnliches Erlebnis in einer anderen "fremden Stadt ...."

In der Hoffnung, Euch nicht zu sehr gelangweilt zu haben,
Fuß Thorsten


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