Willkommen Julia (Hobby? Barfuß! 2)
Hi Georg,
ich hoffe "Fiona", mein zweiter Vorname, ist ok als Namenszusatz. Danke für das nette Willkommen. Ich habe selten an einem Tag so viel E-Mail erhalten wie heute aus diesem Forum (bitte nicht mehr so viel mailen!). Ihr braucht wohl "frisches Blut", oder? Ich versuche hier, die vielen Fragen auf einmal zu beantworten und gehe auf ein paar Themen im Forum ein, die ich gelesen habe. Und erzähle auch Sachen, die noch keiner weiß, damit es nicht noch mehr Fragen gibt.
Also: Ich heiße Julia, ich bin 34 Jahre alt, Mutter eines Mädchens (5), habe Kunstgeschichte, Amerikanistik und Volkswirtschaft studiert und arbeite halbtags im Büro eines Anwalts als Assistentin für Vermögensverwaltung und in meiner "Freizeit" als Lektorin/Übersetzerin für Englisch.
Ich bin seit meinem 12. Lebensjahr Barfußgängerin. Zuvor hätte ich zwar auch gern öfter die Schuhe aus-, oder besser erst gar nicht angezogen, doch meine Mutter passte immer sehr auf, und sie fragte auch Nachbarn usw. Sie hasste es und fand es schlampig, wenn ich schmutzige Füße hatte. Dabei habe ich sie immer gut gewaschen. Aber Ihr wisst ja, dass die Sohlen nie 100-prozentig sauber werden, und ich wollte brav sein.
Ich fühlte mich schon immer beengt von Schuhen, und ich erinnere mich daran (meine Mutter bestätigt es), dass ich schon als kleines Kind furchtbar geheult habe, wenn mir jemand Schuhe anzog, oder im Schuhladen ein Paar nach dem anderen an meine Füße montiert wurde. Es gab auch einen medizinischen Grund dafür: zu schmale Füße für herkömmliche Schuhe. Die saßen immer falsch. Aber die teuren Einlagen, die mir verschrieben wurden (wie meine Mutter immer klagte) halfen nichts: So mit 11 begann ich mich rundheraus zu weigern, zum Schuhekaufen mitzugehen. Meine Mutter kaufte notgedrungen auf Verdacht, damit hatte ich noch bessere Argumente, die Schuhe unpassend zu finden. Sowieso zog ich meine Schuhe bei jedem Weg aus, sobald ich außer Sicht war. Irgendwann war meine Weigerung total, und meine Mutter hatte die tränenreichen Auftritte schließlich satt.
Zuerst lief ich nur so etwa von Ende April bis Mitte Oktober barfuß. Das war damals, in den 70er Jahren, üblicher als heute, glaube ich. In unserer Schule war ich aber die einzige, die bei jedem Wetter barfuß war. Beim Sport trugen wir Mädchen sowieso keine Schuhe (ich weiß gar nicht, ob es da eine Regel gab: es war einfach so), und viele zogen auch im Unterricht die Schuhe aus, wenn es warm war.
Mit 15 zog ich schließlich auch keine Schuhe mehr an, nachdem der erste Schnee gefallen war. Der Grund war ganz praktischer Natur: ich hatte einfach keine Schuhe mehr. Meine Mutter hatte es aufgegeben, mir welche zu kaufen, und dachte sich: Sie wird’s schon selbst tun, wenn sie Schuhe braucht. So lag eines Morgens Reif auf der Wiese, Schnee war angesagt, da nahm ich meine Winterstiefel, die mir noch im März gepasst hatten, und kam nicht mehr rein. Ich ging los - ein paar Hundert Meter zum Schulbus am Morgen, am Nachmittag, im Schneegestöber, aus Neugier die vier Kilometer zu Fuß nach Hause. Das war es. Da ich sowieso meistens barfuß war, interessierte es niemanden (außer meiner Mutter, die noch heute nicht ganz Ruhe geben kann). Ich besitze heute keine festen Schuhe mehr. 1993 habe ich mir für Bergwanderungen ein Paar robuster, offener "Sportsandalen" gekauft. Bei langen Wanderungen durch Geröll oder bei eisiger Kälte trage ich sie manchmal. Sie sind viel besser als die Gummistiefel, die ich vorher für solche "Notfälle" hatte.
Probleme habe ich eigentlich nie. Irgendwer von Euch sagt, dass man so etwas wie einen siebten Sinn bekommt für Hindernisse oder Glas und spitze Steine. Mag sein. Größere Verletzungen gab es bei mir jedenfalls nicht. Wenn es sehr kalt ist, unter 0 Grad, vermeide ich allerdings längere Wege im Freien. Ich verzichte dann auch aufs Joggen, weil es zu sehr die kalten Bänder belastet. Aber im letzten Winter, bei -12 Grad, bin ich problemlos im Schnee etwa zwei Kilometer weit zum Supermarkt und zurück gegangen, weil mein Auto nicht anspringen wollte. Es braucht dafür freilich Routine. Barfuß geht man anders, glaube ich, wenn man Routine damit hat. Der Trick bei großer Kälte ist, nicht zu hasten, sondern mit sanftem Nachdruck aufzutreten und gut abzurollen, dabei im Fußgelenk federn, damit die Durchblutung angeregt wird und die Bänder zugleich nicht zu hart und zu sehr beansprucht werden in der Kälte. Ich musste mich dabei wieder an den Satz eines Arztes erinnern, über den sich meine Mutter (da war ich wohl so 13, 14) extrem aufgeregt hatte: "Der menschliche Fuß ist einige hunderttausend Jahre vor dem Schuh erfunden worden, und er hat in all der Zeit klaglos funktioniert."
Als ich allerdings einmal bei großer Kälte länger auf einen verspäteten Zug warten musste, habe ich nach etwa 30 Minuten aufgeben müssen. Ich zog mich mit ungewohnt kälteertaubten Füßen in die Bahnhofshalle zurück und musste dann später sehr rennen, um den Zug zu bekommen. Vor hunderttausend Jahren gab es eben keine zugigen Bahnsteige mit durchgekühltem Betonboden oder verspätete Züge. Man blieb selbst in Bewegung, statt auf Beförderungsmittel zu warten.
Ich werde gefragt über Mode und barfuß gehen: Als Kind habe ich mich dafür nicht interessiert. Mit 14, 15 habe ich dann aufgehört, lange Hosen zu tragen, weil ich sie unpassend fand. Fragt nicht, warum. Ich trage seither Röcke nach der gängigen Mode, zur Zeit also recht kurz. Wenn es kalt wird, ziehe ich schwarze Leggins drunter, die am Knöchel enden. Mäntel oder dicke Jacken sehen doof aus, wenn man barfuß ist (jedenfalls glaube ich das), also trage ich, wenn es kalt wird, zwei, drei, vier elegante Pullover oder Cardigans übereinander.
Im Studium, auch bei Prüfungen, hatte ich kein Problem ohne Schuhe. Jedenfalls in Deutschland nicht. In Frankreich hat man komisch geschaut, doch es toleriert. In den USA wurde ich oft aufgefordert, Schuhe anzuziehen, doch gab man Ruhe, wenn ich sagte, ich hätte keine. Ich habe mir aber dort, um problemlos überall reinzukommen, die "Barfuß-Sandalen" gemacht, von denen ich schon in meinem ersten Beitrag geredet habe (auch "Hawaiian snow shoes" oder "snow sandals" genannt): eine Art String-Tanga für den Fuß aus geflochtenen oder auch ungeflochtenen dünnen schwarzen oder braunen Lederstreifen. Am mittleren Zeh und am Fußgelenk befestigt, sieht die Konstruktion aus wie ein leichter Schuh. Nur dass er keine Sohle hat.
Bei Vorstellungsgesprächen und in der Arbeitswelt haben sich diese Sandalen ebenfalls bewährt. Wer es mir nachtun und auch in Karriere-entscheidenden Momenten barfuß gehen will: Hier ist beste Fußkosmetik angesagt, wie etwa sorgfältiges Lackieren der Zehennägel. Für mich ist das freilich immer eine Selbstverständlichkeit.
Ich habe nach meinem Studium in einer Consulting-Firma gearbeitet. Mit viel Kontakt zu Kunden teils in hohen Führungspositionen. Beim sommerlichen Vorstellungsgespräch ist mein "Schuhwerk" nicht aufgefallen. Später war das in der Firma mein Argument, wenn jemand Kritik übte. Am Ende brauchte ich nicht einmal die Sandalen anzuziehen, man hatte sich gewöhnt. Insgesamt stimme ich vielen von Euren Beiträgen zu: Frauen haben es glaube ich in dieser Hinsicht leichter.
Ich bin natürlich viel aufs Barfußgehen angesprochen worden. Nie negativ. Höchstens gab es alberne Fragen, aber das liegt auch an den Umständen. Eine Businesswoman im repräsentativen Kleinen Grauen oder Schwarzen, feiner weißer Bluse, mit Gucci-Aktentasche und 300-DM-Frisur steigt aus ihrem BMW barfuß in den Schnee - da gibt es schnell (und verständlicherweise) mehr oder weniger dumme Kommentare und Fragen. Mit Charme beantwortet, kann das dann auch der ultimative, business-fördernde Ice breaker sein. Die meisten Leute gucken aber nur.
Im Übrigen ist es mir herzlich egal, was andere denken. Ich sage ja auch nichts zu deren merkwürdigen Spitzbäuchen, Gammelklamotten, Fettlocken etc.
Manche Männer finden mein Barfußgehen besonders erotisch. I don’t care for that, sage ich da nur. Es ist manchmal schwer, sich diese Typen vom Leib zu halten (Ich verzichte übrigens auch auf Mail von ihnen).
Ich hatte auch Freunde (wie den Vater meiner Tochter), die es peinlich fanden, mit mir zu "wichtigen" Veranstaltungen zu gehen. I don’t care for that either. So war der Berliner Presseball vor einigen Jahren für mich sehr lustig. Ich war schon auf dem halben Wege schwanger, trug ein quietschrotes, wadenlanges Röhrenkleid spack über meinem Bauch, tanzte fröhlich herum und lernte zig Leute kennen. Er wollte unterdessen im Boden versinken. Wir trennten uns wenig später in aller Freundschaft (natürlich nicht nur darum, wir passten nicht zusammen). Versteht ihn jemand? Mir fällt es schwer.
Meine Tochter entwickelt sich auch zur Barfüßerin. Ich habe keinen großen Ehrgeiz, sie ans dauernd Schuhetragen zu gewöhnen. Sie hat natürlich eine Vollausstattung bester Kinderschuhe, schon wegen des Kindergartens, weil die Erzieherinnen sie sonst nicht mit auf Waldwanderungen und andere Draußen-Aktivitäten genommen hätten. Sie hat sich nie gegen Schuhe gewehrt. Sie trägt sie, wann sie will; sehr oft heißt das: nicht. Sie ist ans Barfußgehen fast genauso gewohnt wie ich, nur dass ihre Füße natürlich noch ziemlich empfindlich sind.
Wenn wir gemeinsam unterwegs sind, zumal wenn es kühl und regnerisch ist, muss ich mir oft bitterböse Kommentare (vor allem von älteren Damen) anhören, was ich für eine Rabenmutter sei. Zweimal hat uns jemand Geld für Schuhe angeboten, was ich schon fast rührend fand (wir sehen eigentlich nicht danach aus, als ob es uns an etwas fehlte). Auch das Jugendamt hat sich schon auf "freundliche" Meldung einer Nachbarin um mich und mein Kind gekümmert. Seitdem habe ich es sozusagen amtlich, dass Barfußgehen für Kinder nicht schädlich ist, solange man es nicht übertreibt. Aber ich zwinge meine Tochter ja zu nichts, und sie ist genauso immer kerngesund wie ich selbst. Abhärtung? Weiß der Geier. Hauptsache, man fühlt sich gut. Mit oder ohne Schuhwerk.
Ok. Soviel für jetzt.
Grüße an Euch alle (und bitte nicht mehr soviel mailen! Ich komme ja ins Forum, da könnt Ihr mir schreiben, ok?)
Julia