Aus der Randgruppe über den Barfußpfad in die Natur ... (Hobby? Barfuß! 2)

Georg @, Monday, 04.10.1999, 19:02 (vor 9183 Tagen)

Hallo Oliver, Lorenz, Rol, hallo Barfüßer,

ich möchte eine gedankliche Brücke schlagen zwischen mehreren Beiträgen und siedele diese der (erhofften) größeren Aufmerksamkeit - und erwünschter Antworten - halber hier oben an.
Das schlechter und zwangsläufig barfußunfreundlicher werdende Wetter gibt uns ja wieder etwas mehr Gelegenheit zur Diskussion von grundsätzlichen Fragen ...

Solange ich auch in meiner Freizeit befürchten muss, dass [jemand] , der mich barfuss sehen würde, meine Seriösität als Anwalt in Zweifel ziehen und sich fragen könnte, ob er bei mir gut betreut ist [...] , kann man eben nicht unterstellen, Barfussgehen sei allgemein akzeptiert.

Dieses theoretische Risiko gehst Du z. B. auf Rollerblades, im Liegefahrrad, beim Mountainbiken im Gelände ... und vielen anderen denkbaren Tätigkeiten auch ein.
Nur wer ganz und gar angepaßt lebt, geht kaum ein Risiko ein - außer bei denjenigen, denen eben Angepaßte oder Teilaspekte dieses Verhaltens unangenehm auffallen. Mir sind z. B. unter anderem Golfer bis zum persönlichen Beweis des Gegenteils herzlich unsympathisch (hoffentlich fühlt sich kein Mitleser jetzt angesprochen), würde ich Dich also dabei "erwischen" ...
Ich will hier gewiß nichts beschönigen - es wird - statistisch betrachtet und auf die Gesamtbevölkerung bezogen - das "Risiko" beim Barfußlaufen bestimmt höher sein als auf dem Golfplatz ..., aber die höchste zu überwindende Hürde liegt nicht in den Köpfen der Mitmenschen, sondern im eigenen. Durch das Forum bestärkt habe ich jedenfalls in diesem Sommerhalbjahr mein heimatliches Rheinland (und andere Regionen) um ein vielfaches barfußtoleranter erlebt, als ich das in meinem bisherigen Leben für möglich gehalten hatte.

Ich liege insofern ganz auf der Linie von Lorenz, wenn er schreibt :

Worauf ich hinauswill: es gibt sicherlich eine öffentliche Meinung, wann man barfuß sein sollte und wann nicht. Doch der Grenzbereich ist sehr weit und fließend -- und damit beeinflußbar, er steht sozusagen zu unserer Disposition. Es liegt nun in der Art des Menschen, immer wieder Grenzüberschreitungen zu versuchen.

Bei welchen Gelegenheiten solche "Grenzüberschreitungen" überhaupt eintreten, ist regional sicher sehr unterschiedlich und insofern mit abhängig davon, wo im deutschsprachigen Raum man lebt.
Es wäre gewiß auch interessant zu untersuchen, inwieweit der Begriff und der Zustand "barfuß" eigentlich regional, alters- und geschlechtsspezifisch unterschiedlich besetzt sind. Auch diese Frage wurde in grundsätzlicher Form bereits im Forum andiskutiert und folgende Assoziationen u. a. angeboten :

Barfuß =

arm (z. B. als Folge des früher vielfach üblichen Schuheschonens aus Kostengründen im Sommer);
rebellisch (als Folge der 68er Bewegung);
ungepflegt bis unhygienisch (wegen erkennbarer Verschmutzungen und wohl auch wegen der Assoziation mit Hippies);

aber auch

gesund (in der Tradition der Kneipp’schen Lehren);
naturverbunden (wegen des direkten Bodenkontakts);
frei (eine auch von der Werbung gern benutzte Assoziation) usw. usf.

Wenn Oliver schreibt :

Erfreulicherweise zielen z.B. dieses Forum und Aktionen wie die von Lorenz und Georg (vielen Dank für euer diesbezügliches Engagement!!!) darauf ab, genau dies zu ändern. Bis dahin ist es sicher noch ein langer Weg und der Erfolg ist fraglich, aber Teilerfolge wie die Barfussparks und das Medieninteresse und die sehr positive Reaktion auf Lorenz Vorstoss in seiner Gemeinde sind ja nicht von der Hand zu weisen.

dann ist genau die Frage angesprochen, wo die Möglichkeiten dazu zu finden sind, in unserem und aller Barfußinteressierter Sinne Ansätze zu höherer Akzeptanz - zumindest in bestimmten Umfeldern - zu gelangen.
Und relativ klar ist (jedenfalls für mich), daß die Ansatzpunkte hierfür in den allenthalben positiv besetzten Assoziationen des Barfußbegriffs zu sehen sind, also in gesund, naturverbunden und frei - und institutionalisierte Barfußpfade in einigen Orten oder geführte Barfußwanderungen, die es zumindest in einigen Kurorten wohl auch schon gibt, zeigen diesbezüglich neue Chancen auf.
Initiativen wie die der Deutschen Wanderjugend zur Verbreitung des Barfußwanderns können ebenso helfen, den zwangsläufig einengenden Charakter der oben genannten Initiativen (auf dem Parkplatz am Barfußpfad zieht man seine Schuhe aus ... und natürlich auch wieder an) aufzusprengen und die gesamte Natur als "Barfußpfad" zu erschließen - und eine Sammlung von gut geeigneten Routenvorschlägen, wie von Rol angeregt und von Btreff schon ansatzweise umgesetzt kann dabei sicher helfen.

Ich selbst habe mir z. B. für das Winterhalbjahr vorgenommen (in der Erwartung, Zeit dafür zu finden), einige solche Vorschläge im Kölner Raum auszuarbeiten, und ich möchte alle herzlich ermuntern, es anderswo ebenso zu handhaben.
Wie wir unsere (Wander- und sonstigen) Ideen dann wirkungsvoll "vermarkten" müssen wir noch sehen - aber erst Vorschlag, dann Verbreitung ist wohl unstrittig die richtige Reihenfolge.

Wie Ihr bemerken werdet, ist mir derzeit ein gewisses Maß an Optimismus zu eigen, daß wir aus eigener Kraft 2000 zwar sicher keinen Durchbruch erzielen, aber doch einige Fort - Schritte aus dem Randgruppenstatus heraus machen können - wenn wir uns auch dafür einsetzen ! (Der Durchbruch hat ja noch Zeit bis 2001)

Zuversichtliche Füße
Georg

Aus der Randgruppe über den Barfußpfad in die Natur ...

Kai ⌂ @, Monday, 04.10.1999, 23:23 (vor 9183 Tagen) @ Georg

Hallo Georg,

vielen Dank für den ausführlichen zusammengstellten Beitrag. Kleine Anmerkungen von mir:

In Deiner Aufzählung der Punkte, wie Barfußlaufen besetzt ist, fehlen m.E. nach die zwei am häufigsten mir gegenüber genannten Punkte:

Barfußlaufen = kalt und gefährlich

aber die
höchste zu überwindende Hürde liegt nicht in den Köpfen der
Mitmenschen, sondern im eigenen.

Nach mittlerweilen 10 Monaten mitlesen im Forum und ca. 5 Monaten intensiven Barfußlaufens in der Stadt, der Arbeit, Zuhause, beim Einkaufen, als Seminarleiter, beim Wiesenmähen, Radeln, etc. kann ich Dir hier voll und ganz zustimmen!
Ich wurde weder dumm angemacht, noch aus irgendwelchen Geschäften verwiesen. Auch meine "Autorität" hat nicht gelitten und beim Einkauf werde ich - als "fußbekanntes Gesicht" - eher freundlicher als vorher bedient.

Das "Schlimmste" was mir bisher passierte, waren einige leicht spöttische Blicke Jugendlicher, erstaunte Ausrufe von Kleinkindern, wenige wohlgemeinte Ratschläge und Bestätigungen ("Gehen Sie auf der Wiese, das ist gesünder als auf dem Gehweg.", "Früher lief ich auch im Sommer barfuß.") und immer wieder die erstaunte Frage, ob es mir nicht zu kalt sei und ob ich keine Angst vor Scherben hätte.

Man muß sich nur selber fragen, welche (Vor-)urteile im eigenen Kopf sind und diese angehen. Manchmal hilft zur Überwindung dieser "hemmenden Vorstellungen" auch einfach eine "unterstützende Vorstellung". Wie ich bereits einmal schrieb, kam ich über die Recherche zu einem Artikel intensiver in Kontakt zum Forum und war neugierig, das Barfußlaufen auszuprobieren. Um meine ersten schuhlosen Gehversuche gedanklich (auch vor mir) zu rechtfertigen "tarnte" ich sie als Praxis-Recherche, ähnlich einem Schauspieler, der sich in seine neue Rolle voll und ganz einleben möchte und Milieustudien betreibt.
Durch diese gedankliche Krücke konnte ich die (nicht vorhandene) Grenze gut rausschieben und hatte, sollte ich tatsächlich angesprochen werden (passierte dann doch nicht), eine plausible Antwort parat.

Durch das Forum bestärkt habe ich
jedenfalls in diesem Sommerhalbjahr mein heimatliches Rheinland (und
andere Regionen) um ein vielfaches barfußtoleranter erlebt, als ich
das in meinem bisherigen Leben für möglich gehalten hatte.

Gleiches kann ich (s.o.) auch für meine Umgebung im Stuttgarter Raum sagen.

Bzgl. der Barfuß-Wanderstrecken bin ich, s. meine kleine Antwort weiter unten, etwas zwiegespalten. In der Summe halte ich diesen Ansatz aber schon für hilfreich und wünsch' mal viel Energie beim Zusammenstellen der Strecken.
Als Mitarbeiter eines (Jugend)Wanderverbandes sehe ich selber, dass insbesondere nicht mehr ganz jugendliche Menschen gerne entlang markierter Wege wandern. Vermutlich geht eine gezielte Förderung des Barfußwandern (evtl. als eine Hinführung zu mehr Barfußbewußtsein) daher wirklich nur über konkrete Routenvorschläge.

Inwieweit der Artikel über's Barfußwandern in der Zeitschrift der Wanderjugend und im Wandermagazin wirklich Leute zum Barfußlaufen animierte kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, daß ich viele An- und Bemerkungen erhielt und der Beitrag durchaus auffiel ...
Vielleicht kann er ja eine kleine Fortsetzung im nächsten Jahr finden, dann evtl. eben mit konkreten Routenvorschlägen.

Machs gut
Kai

[image] wer ihn noch nicht kennt :-), der Artikel übers Barfußwandern

Aus der Randgruppe über den Barfußpfad in die Natur ...

Georg @, Wednesday, 06.10.1999, 18:25 (vor 9181 Tagen) @ Kai

Hallo Kai,

Bzgl. der Barfuß-Wanderstrecken bin ich [...] etwas zwiegespalten. In der Summe halte ich diesen Ansatz aber schon für hilfreich ... Einerseits birgt ein solcher Führer die Chance, besonders gut für ANFÄNGER-Barfüßer geeignete Strecken publik zu machen und damit - analog zu Barfußparks - überhaupt Menschen zum Barfußlaufen zu animieren. Andererseits aber verstärken wir damit das Vorurteil, daß Barfußlaufen nur auf speziell "präparierten, ausgewiesenen, beschriebenen" Wegen möglich ist, sich aber nicht für den Alltagsweg eignet ... Vermutlich geht eine gezielte Förderung des Barfußwandern (evtl. als eine Hinführung zu mehr Barfußbewußtsein) daher wirklich nur über konkrete Routenvorschläge.

grundsätzlich verstehe ich Deine Bedenken nicht nur, sondern teile sie auch !
Ich meine aber, daß die Abwägung der unterschiedlichen Gesichtspunkte eindeutig für die Streckenvorschläge spricht - und Du das Hauptargument selbst genannt hast :
denn außer "Anfänger - Barfüßern" wirst Du im Kontext von Wandern kaum jemand Barfüßigen finden !
Nehmen wir (nur der Einfachheit halber) einmal mich als Beispiel :
ich bin viele Jahre lang barfuß gejoggt - das aber immer über mir bekannte Strecken, von denen ich wußte, daß es keine Barfuß - Probleme geben würde.
Beim wandern ziehe ich es aber vor, immer wieder neue wege zu gehen - und die glaubte ich meinen Füßen nicht zumuten zu können (zumal mir nie ein barfüßig wanderndes Wesen begegnet ist). Erst die amerikanischen "barefoot hikers" im Internet und dann das Forum haben mir diesbezüglich Mut gemacht - und heute fuchst es mich gewaltig, wenn ich mir - wegen der Außentemperaturen oder der Geländebeschaffenheit - Schuhe anziehen muß.
Apropos Geländebeschaffenheit : So wie viele "Hauptwanderwege" geführt sind oder als Wandererrennweg ausgestaltet werden, ist das Barfußwandern darauf ohnehin kein Vergnügen - und für Barfußanfänger sicher kontraproduktiv. Vorschläge für gut geeignete Strecken (erst recht in der Nähe von Ballungszentren) könnten das Abhilfe schaffen - und dann muß man natürlich darüber nachdenken, wie man den Ghetto- Effekt solcher Strecken (der m. E. auch für die schon existenten Barfußpfade gilt) aufknackt.

Inwieweit der Artikel über's Barfußwandern in der Zeitschrift der Wanderjugend und im Wandermagazin wirklich Leute zum Barfußlaufen animierte kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, daß ich viele An- und Bemerkungen erhielt und der Beitrag durchaus auffiel ... Vielleicht kann er ja eine kleine Fortsetzung im nächsten Jahr finden, dann evtl. eben mit konkreten Routenvorschlägen.

Die Sache mit der Fortsetzung ist doch allemal eine erfolgversprechende Idee !
Kannst Du evtl. auch bei den richtigen Leuten in Euren Mitgliedsorganisationen die Werbetrommel für Barfußwander - Angebote rühren, wie sie der Schwäbische Alb Verein in diesem Sommer bereits gemacht hat ?
Evtl. müßte man dazu noch eine kleine praxisbezogene "Handreichung" auskochen (Instantrezeptur : einfach nur zweimal umrühren, schon fertig ...)

Serfuß
Georg

Aus der Randgruppe über den Barfußpfad in die Natur ...

Marc @, Friday, 08.10.1999, 00:32 (vor 9180 Tagen) @ Georg

Hallo Kai und Georg

Die Idee vom Barfusswanderweg Führer find ich sehr gut. Abgesehen von den Negativen Effekten die Ihr beschreibt und denen ich auch zustimmen muss, sollte man doch berücksichtigen, dass gerade Anfängern die Lust am Barfusslaufen gründlich vermiest wird, wenn der erste Trip ein Flop, sprich nur weh tut, ist.
Wenn wir wirklich Neulinge anziehen wollen, gibt es m.E. nur etwas das Wirkung zeigt: Animation vor Ort. D.h. wie die Hiker Groups der DDS vorleben und vormachen. (Seien wir ehrlich, die meisten von uns sind 'Einzelkämpfer'...ein paar wollen das vielleicht auch sein und bleiben...man oder frau ist halt barfuss schon etwas 'exclusiv'.) Man könnte aber auch in Zusammenarbeit mit der Öffentlichen Hand, geeignete Wege markieren und an geigneter Stelle z.B. eine Infotafel aufstellen. Das braucht aber Zeit und Geld und eine ganze Menge Enthusiasmus und Durchhaltevermögen. Aber wer weiss, vielleicht gewinnt das Barfusslaufen wieder vermehrt Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit.
Fuss zum Gruss
Marc

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