Zweierlei Läufe in vier Presseberichten (Hobby? Barfuß! 2)

Georg @, Monday, 30.08.1999, 21:00 (vor 9153 Tagen)

1) Markgröningen, Schäferlauf :

Durch den Schlamm zur Königswürde des Schäferlaufs
Traditionsfest lockte trotz Regens Massen nach Markgröningen -
Stefanie und Manuel holten sich den Sieg Markgröningen -
So flott wie die Athleten in Sevilla waren sie nicht. Höchstleistungen aber vollbrachten auch die Wettläufer beim diesjährigen Schäferlauf: Beim Spurt barfuß übers Stoppelfeld holten sich Stefanie Stock und Manuel Hofmann die Königskrone. Zwar trübte der Regen die Besucherbilanz, nicht aber die Begeisterung.
VON BETTINA BERNHARD Wie von einem Magneten angezogen bewegen sich am Samstag Ströme von Menschen und Blechkarossen sternförmig auf das 6000-Einwohner-Städtchen im Kreis Ludwigsburg zu. Ihr Ziel: der Markgröninger Schäferlauf, das älteste schwäbische Heimatfest, dessen Ursprung aufs Jahr 1445 zurückgeht. Ihr Problem: der Regen. [...] Die Begeisterung für die farbenfrohen Trachten und die vielstimmigen Klänge der mehr als 50 Musik-, Tanz- und Spielgruppen, Festwagen und Abordnungen trübt der graue Himmel dann doch nicht. Beifall begleitet den bunten Bandwurm zum Stoppelfeld, wo mit dem Schäferlauf der Höhepunkt des Festes ansteht. Jetzt hat sich der Himmel eines Besseren besonnen und seine Schleusen geschlossen, so dass die Zuschauer ohne störende Schirme der Sage vom treuen Schäfer Bartel folgen können. Weil jener einst den Verlockungen böser Gesellen widerstand, belohnte ihn der Graf von Gröningen, indem er ein Fest für die Schäfer stiftete - und das wird bis heute gefeiert.
Schon beim ¸¸Vorprogramm'' des Schäferlaufs mit Sacklaufen, Hahnentanz und Wassertragen zeigt sich, dass erschwerte Bedingungen herrschen. Auf dem aufgeweichten, matschigen Boden des Stoppelackers rutscht und fällt so mancher Akteur, an den Schuhen der Tänzer bilden sich Plateausohlen aus Erde.
Letzteres Problem haben die 16 Schäfertöchter und die zehn jungen Schäfer, die am Wettlauf teilnehmen, nicht. Sie müssen die 300 Meter übers Stoppelfeld barfuß zurücklegen und damit beweisen, dass sie fit genug sind, ein flüchtiges Schaf wieder einzufangen. Für ein paar Sekunden fliegen die Röcke, brüllt das Publikum, dann landet die 15-jährige Stefanie Stock aus Ellwangen-Haisterhofen als Erste im Ziel. Wenige Minuten später steht auch fest, wie der "Gatte auf Zeit'' der neuen Schäferkönigin heißt: Manuel Hofmann aus Münstertal im Schwarzwald , 18 Jahre alt und stolzer Besitzer einer Herde von 600 Schafen, holt sich gleich bei seinem ersten Schäferlauf die Krone. Für Stefanie ist die folgende Krönungszeremonie keine Premiere: Sie siegte schon in Bad Urach, das neben Heidenheim, Wildberg und Markgröningen zu den Schäferlaufstädten gehört.
Dass deren Faszination ungebrochen ist, zeigt sich, als die Bilanz am Sonntag dann doch wieder knapp 100000 Besucher in vier Tagen ausweist.
[Sindelfinger, Böblinger Zeitung 30.8.1999]

2) Sevilla, Marathon

Rennen oder Humpeln - der ganz normale Wahnsinn
Beim Marathon in Sevilla feiert das Publikum den spanischen Sieger, und die vielen unbekannten Geschlagenen feiern sich selbst
Der Spanier Abel Anton beschert seinen begeisterten Landsleuten die ersehnte Goldmedaille und sich selbst den bewegendsten Moment seines Lebens. Aber der Marathon schreibt nicht nur die Geschichte der Sieger. Von Jutta Deiss, Sevilla
Es war schon dunkel. Wie Sturmböen rauschten die Jubelgesänge, der Beifall und die Óle-Rufe der 60000 Zuschauer für den alten und neuen Weltmeister hinaus in die Nacht. To Rithya hörte sie nicht. Stoisch setzte der Kolumbianer Schritt für Schritt im Scheinwerferlicht der Fernsehkamera, die ihn auf dem Motorrad gnadenlos verfolgte. "Ankommen, ankommen, ankommen''. Er hämmerte sich die Worte im Rhythmus des Laufs ins Hirn. Er kam an. Aber nicht dort, wo er hinwollte. Das Stadiontor war schon geschlossen. Rithya musste vor dem Tunnel zum Marathon - Tor in Richtung Expo-Gelände abbiegen und dort über eine provisorische Ziellinie laufen. Denn in der Arena waren schon die 5000-Meter-Läufer unterwegs, und die Staffeln warteten auf ihre Vorläufe. [...] Er hätte die letzte Runde im Stadion verdient gehabt. Dort, wo die Zuschauer auch die Geschlagenen willkommen heißen und feiern, weil der Marathon auch die Leidenden groß macht. Denn die Schmerzen der Geschlagenen machen die Besten zu Helden. [...] Und so werden die kleinen Dramen und die großen Gefühle der vielen unbekannten Helden wieder nur flüchtige Anekdoten bleiben. Wer erinnert sich in Sydney noch an Manukau Teruibaki? Er kam von seinem 780 Quadratkilometer kleinen Eiland mit 85000 Einwohnern namens Kiribaki. "Debüt'' stand hinter seinem Namen, und seine Prominenz erschöpfte sich in der Fußnote, dass Kiribaki das jüngste Mitgliedsland im Internationalen Leichtathletik-Verband ist. Er war bei Kilometer 5 Letzter und gab danach als Erster auf. Oder wer weiß schon, warum Lwan Thu als 58. im Ziel seine eigene kleine Party feierte. Der Malaye hatte drei Kilometer nach dem Start auf dem heißen Asphalt die Schuhe von den Füßen geschleudert und sich auf nackten, brennenden Sohlen barfuß auf den Rest des Weges gemacht. Schmerzende Muskeln, erschöpfte Gemüter, flammende Herzen - und 60 000 Dollar für Goldjunge Anton. Erbarmungslos spielten die Marathon-Männer alle Laster und Leidenschaften der Leichtathletik aus. Aber sie tun es freiwillig. Und sie müssen es lieben. Sonst würden sie es - freiwillig - nicht tun.
[Stuttgarter Zeitung, 30.8.1999]

Den barfuß laufenden Athleten kann die Presse durchaus auch weniger freundlich kommentieren :

3) Heimsieg beim Hitze-Marathon
Beim härtesten Marathon der WM-Geschichte kam es zum Triumph des Spaniers Abel Anton. [...] Die Temperaturen zur Startzeit um 18.45 Uhr betrugen knapp 40 Grad, zudem mussten die Athleten einen Großteil der Distanz in der gleißenden Sonne zurücklegen. Hunderttausende entlang der Strecke trieben die frühzeitig erschöpften Athleten beim "Marathon Mortal" über den aufgeheizten Asphalt der Strecke. Ein Großteil der 83 gestarteten Läufer erreichte nicht das Ziel. Alle Bemühungen um eine Verlegung in die Morgenstunden waren gescheitert - vor allem am Interesse der spanischen Fernsehanstallt "tve". [...] Für Notfälle waren acht Ärzte-Teams und vier mobile Kommandos im Einsatz. Jeder Zielankömmling erhielt einen Infusions-Beutel, um wieder auf die Beine zu kommen.
Dennoch spielten sich aberwitzige Szenen ab: Schon nach zehn Minuten entledigte sich Lwan Thu aus dem asiatischen Myanmar seiner Schuhe und lief barfuß weiter. Bei Kilometer 20 war von ihm nichts mehr zu sehen.
[Der Patriot, 29.8.1999]

Und der Sportler aus Kiribaki wäre vielleicht besser auch barfuß gelaufen (noch besser : barfuß und gut vorbereitet), wie der folgende Artikel zeigt :

4) "Wenn er aufgibt, lassen wir ihn hier" "Manukau Teuribaki aus Kiribati", steht auf der Startliste für den WM-Marathon. Kiribati? Ihr Berichterstatter denkt nach, ob er damals im Geographie-Unterricht gefehlt oder nicht gut aufgepasst hat. Wozu gibt's ein Lexikon. Hier steht's: Kiribati ist eine Inselgruppe im Pazifik, nahe am Äquator, mit insgesamt 84.000 Einwohnern. Drei davon sind hier in Sevilla: Der Athlet, sein Trainer, von Beruf Polizist, und Rimon Titi, ein freundlicher älterer und gebildeter Mann. Er ist Lehrer und Präsident des Leichtathletik-Verbandes [...] Und der SN-Reporter etwas irritiert: "Wie viele Marathons ist Teuribaki schon gelaufen, und wie lautet seine Bestzeit?" Der Präsident schüttelt sein weises Haupt: "Er läuft hier zum ersten Mal." Und warum ausgerechnet Marathon? "Weil es unser Verband so entschieden hat." Aha. Ist Manukau Teuribaki ein Marathon-Mann wider Willen? "Nein, nein", versichert Titi. "Er läuft gern, aber eine Zeit haben wir nie gestoppt." Daheim barfuß, für die WM hat er in Sevilla von adidas Schuhe bekommen. Er soll versuchen, durchzukommen, nur nicht aufgeben. "Wenn Du als Letzter ins Ziel kommst, werden die Leute klatschen", sagt der Präsident, und klopft seinem Athleten auf die Schulter. Werden seine Landsleute den Marathon verfolgen? "Nein", meint er. "Bei uns gibt es kein Fernsehen." Nächste Woche beginnt für den Marathon-Mann wieder der Alltag. Er hat keinen fixen Job, aber ein bisschen Land, auf dem Kokosnüsse wachsen, und ein kleines Boot. "Wozu braucht er Geld? Wenn er Hunger hat, fährt er aufs Meer und holt sich einen Fisch", sagt Titi. Letzte Frage: "Was passiert, wenn Teuribaki den Marathon nicht durchsteht und aufgibt?" Die Miene des Präsidenten wird ernst: "Dann lassen wir ihn einfach hier", sagt er. Und grinst.
[Salzburger Nachrichten, 28.8.1999]

Sportliche und belesene Füße
Georg


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