und bin barfuss an die Weihnachtsmesse vom Kiwanis-Club.
Die findet im Freien auf dem Zuercher Buerkliplatz statt.
Aber das war keine besondere Heldentat, denn heute war es
hier etwa 12 Grad warm. Um besondere Aufmerksamkeit zu
erregen muesste ich mich wahrscheinlich auf den Kopf stellen
und mit den Fuessen Handharmonika spielen.
Einer hat immerhin gesagt: "Verzeihung! Jetzt waere ich ihnen beinahe auf die Zehen gestanden."
Frueher habe ich mich im Winter kaum getraut, in aller Oef-
fentlichkeit barfuss zu erscheinen. Ich ersehnte den Frueh-
ling. Und jede Nacht traeumte ich das Gleiche: Ich befand
mich als einziger barfuss inmitten vieler Leute, und keiner
beachtete mich. Dieser Traum verschwand sofort, wenn ich
endlich wieder barfuss laufen konnte. Da ich jetzt bei je-
der sich bietenden Gelegenheit auch im Winter ein barfues-
siges Schauspiel auffuehre, traeume ich nicht mehr.
Den andern machts Spass, mir machts Spass - also weg mit
den Schuhen! Nicht immer - aber immer oefter.
Von wegen - ich spiele Handharmonika, aber hundslausig, und
natuerlich mit den blossen Haenden, hihi! Ich spiele auch
Keyboard, deshalb besuche ich ja jedes Jahr die Frankfurter
Musikmesse. Seit Jahren bin ich mit einem Freund gegangen,
er mit Schuhen, ich ohne. Dieses Mal sagte er zu mir, er sei
todkrank, aber er wolle mit mir nochmals an diese Messe,
obschon er eigentlich im Spital haette eintreffen muessen.
Vor zwei Monaten ist er gestorben, Lungenkrebs, obschon er
nie im Leben geraucht hat. Er ist etwas mehr als 64 Jahre
alt geworden.
Dieser Freund hat mir beim ersten Mal erzaehlt, er habe die
Leute beobachtet, als ich da barfuss herumlief. Die meisten
haetten keine Notiz davon genommen, andere haetten gestutzt,
nochmals hingeschaut, vielleicht noch ein drittes Mal, dann
seien sie aber weitergelaufen.
Und jetzt hoffe ich immer noch, dass sich ein anderer Bar-
fuessler meldet, der mich Ende Februar dorthin begleitet.
Oder wird man ohne Schuhe unmusikalisch? Ich hoffe, dass
das Gegenteil der Fall ist.
Jetzt koennte ich stundenlang weitererzaehlen, zum Beispiel
von meinen Barfuss-Buechern. Eines ist ganz schrecklich.
Da macht ein Mann einen andern hoerig, zwingt ihn zum Bar-
fusslaufen, fesselt ihn und schlaegt seine Fusssohlen blu-
tig, immer wieder. Am Schluss bringt er ihn um. Das Buch
heisst "Barfuss", deshalb hatte ich es gekauft. Der Schrift-
steller ist kein Unbekannter.
In einem andern Buch "Barfuss als Prinz" beschreibt ein Theater-Schauspieler sein Leben. Er ist homo, gibt sich eine Zeitlang jedem hin und laeuft barfuss, auch im Schnee. Er
kannte viele Beruehmtheiten, unter anderem Inge Meysel,
Heinz Ruehmann, Boy Gobert etc.
In einem dritten Buch sind die Leute im Osten Europas so
arm. dass sie sich wirklich keine Schuhe leisten koennen,
auch im tiefsten Winter nicht.
In einem anderen Buch ist es noch schlimmer. Da reicht es
nur zu total zerrissenen Lumpen, die nicht einmal die
Bloesse bedecken. Als einer im Bergwerk einen Sack Kohlen
traegt, greift ihm eine Frau zwischen die Beine, fasst zu
und mimt die Gloecknerin, unter dem Gelaechter der ganzen
Belegschaft Dieses Buch ist authentisch, eine Lebensge- schichte. Da wussten die Leute kaum, was ueberhaupt Schuhe
sind, nicht etwa in Afrika, sondern im Osten Europas, vor
etwa 150 Jsahren.
Ein anderes Buch beschreibt ein Zigeunerleben. Ein Bub
reisst zuhause aus und schliesst sich den Zigeunern an,
die gerade in der Naehe seines Dorfes campieren. Er wird
aufgenommen. Gluecklich wirft er seine Schuhe fort, um
endlich, endlich barfuss laufen zu duerfen. Zu seiner Ver-
blueffung stuerzen sich alle Zigeunerbuben auf seine Lat-
schen, streiten sich darum und ziehen sie an.
Viele Buecher, die im Titel das Wort "Barfuss" enthielten,
waren eine Enttaeuschung, da das Wort drinnen nicht mehr
auftauchte. "Barfuss" war einfach als Synonym fuer "Anfaen-
ger" genommen worden.
Ein Buch habe ich nicht gekauft. Es kostete zuviel. Es han-
delt von Kostuemen. Unter vielen anderen sind da Schottische
Krieger resp. Soldaten abgebildet, welche angeblich bis En-
de letzten Jahrhunderts barfuss gewesen seien, vermutlich Sommer und Winter. Es scheint, als ob es da oben hoch im Norden keinen Schnee gibt, vermutlich wegen des Golfstroms.
So, jetzt muss ich abbrechen, sonst wird doch noch ein Buch
daraus. Es kommt mir eines um das andere in den Sinn, folg-
lich habe ich noch Stoff fuer unendlich viele Beitraege.
Ich hoffe, dass ich niemanden langweile oder schockiere!

Ich fuesse Euch alle!
Roli