Die ewige Angst vor anderer Leute Vorurteile (Hobby? Barfuß! 1)

Georg @, Wednesday, 07.10.1998, 21:13 (vor 9500 Tagen)

"Ich möchte nämlich auch WIRKLICH mit nackten Füssen durch die Gegend laufen - bin aber einer dieser totalen Anfänger-Typen, die sich eigentlich noch zu gar nichts trauen, wie z.B. barfuß durch die Stadt zu laufen oder sogar zu wandern! Ich könnte mir auch vorstellen, Spaß am Joggen barfuß zu finden, nur, wie gesagt: ich bin ein absoluter Feigling und müsste wahrscheinlich erst lernen, das ganze als "normal" zu betrachten... Vielleicht "hilft" mir ja jemand und macht mir Mut!? ... Du hast recht, dazu fehlt mir noch reichlich Spontanität und Selbstbewußtsein ... Doch was, wenn mir jemand begegnet, allein!? Wie schrieb doch ein Forumsteilnehmer so schön: "ich würde tot umfallen...!"." (Steve)

So oder so ähnlich finden wir zahlreiche Beiträge im Forum von Menschen, die eigentlich gerne barfuß laufen würden, sich aber wegen der vermuteten oder wirklichen Vorurteile der anderen nicht trauen.

Sicher sind solche Befürchtungen nicht ganz unangebracht (es gibt diese merkwürdigen Vorurteile ja wirklich und kaum jemand möchte zum "Geschwätz der Leute" werden), aber sind sie auch berechtigt? - Die Frage ist im vorliegenden Rahmen eindeutig rhetorisch, die Antwort lautet natürlich : "Nein". Trotzdem lohnt es, nach einigen Argumenten Ausschau zu halten.
Für mich zählen besonders die folgenden :

1. Nackt geboren
Jeder Mensch kommt nackt zur Welt. Damit ist unzweiflig klar, wie sich "die Natur" das menschliche Leben vorstellt : barfuß von den Sohlen bis zum Scheitel.
Freilich gehört dieses Konzept auch in eine bestimmte natürliche Umgebung; hätte der Mensch keine Kleidung erfunden, könnte er nicht auf der ganzen Erde überleben, sondern nur in bestimmten klimatischen Räumen, in denen die europäischen Entdecker / Eroberer die sogenannten "Eingeborenen" ja auch tatsächlich nackt antrafen, ihnen aber namens des Christentums (vgl. die Geschichte mit Adam und Eva) gleich etwas anzogen.
Für Schuhe gilt diese Feststellung in gewissem Umfang auch (in Deutschland könnte man allerdings vermutlich, wenn man es von Geburt an nur so gewohnt wäre, auch ganzjährig barfuß leben, wie es wohl bei den Schotten bis in die Neuzeit hinein üblich war - vgl. bei Interesse : http://members.aol.com/bhthom/hikertxt.htm#III_f)

2. Wunderwerk der Natur
Der menschliche Fuß wird gelegentlich sehr richtig als "Wunderwerk der Natur" bezeichnet; er ist nicht nur - eine ungestörte natürliche und gesunde - also prinzipiell barfüßige - Entwicklung vorausgesetzt, zum Gehen und Stehen, Laufen und Springen bestens geeignet, sondern kann auch greifen, tasten und fühlen; und wer je gesehen hat, wieviel contergangeschädigte oder anderweitig von Geburt an im Gebrauch ihrer Arme und Hände eingeschränkte Menschen mit ihren Füßen machen (können), weiß genau, was ich meine.
Es steht für mich außer Frage, daß mit Schuhen diese menschlichen Füße nichts (nichts !!) so gut können wie ohne, nicht einmal laufen, wie entgegen landläufiger Meinung schon mehrfach nachgewiesen wurde, und wie auch barfußlaufende Leistungssportler unter Beweis stellten. Tasten, Greifen, Fühlen fällt ganz weg - warum also die Dinger anziehen ??

3. Meine Füße gehören mir.
Ob ich mich beim Barfußlaufen erkälte, in Scherben, glühende Zigarettenkippen oder Hundescheiße trete, geht nur mich was an - und die Idioten, die die Scherben liegenließen, die noch glühende Kippe wegschmissen oder ihren Hund nicht an eine geeignete Stelle geführt haben.
Auch vor Fußpilz brauchen sich Barfüßer nicht zu fürchten, er gedeiht nämlich nur im warmfeuchten Milieu, also bei den Schweißfüßern in ihren Schuhen. Barfüßer haben trockene und gut gelüftete Zehen - und deshalb auch keinen Fußpilz.
Übrigens spart mein Barfußgehen dem Gesundheitswesen viel Geld; es sorgt nämlich dafür, daß meine Knie, Hüften und Wirbelsäule gesünder bleiben (oder wieder werden) als bei den im Regelfall erheblich geschädigten Schuheträgern (wer würde eigentlich beim Hausbau glauben, daß man auf ein verkipptes Kellergeschoß (-> Senkfuß) ein gescheites Erdgeschoß (-> Fußgelenke), geschweige mehrere Stockwerke (-> Knie, Becken, Wirbelsäule ...) setzen kann ?)
Und von dem abhärtenden und Erkältungskrankheiten vorbeugenden Effekt des Barfußlaufens war hier bereits häufig die Rede.

4. Frage der Toleranz
Wir leben in einem demokratischen Land, das auf seine liberalen Traditionen und seine tolerante Grundhaltung stolz sein will (oft auch kann). Was ist denn von alledem zu halten, wenn man nicht mal soll ungestört barfuß gehen dürfen ? Die anderen können ihre Schuhe ja schließlich anbehalten, wenn sie es unbedingt wollen !

5. Ich bin nicht allein
Dem Selbstbewußtsein vieler, auch meinem, hilft ausgesprochen die Gewißheit, mit der Vorliebe für Barfußlaufen und den damit verbundenen, mehr oder minder stark ausgeprägten Bedenken nicht alleine zu sein. Das Hobby?Barfuß! - Forum ist eine wunderbare Hilfe, für manchen fast schon eine virtuelle Selbsthilfegruppe !

Die Liste läßt sich gewiß fortsetzen (und ich lade alle Leser ein, sofort damit zu beginnen !).

Andy hat in diesem Zusammenhang gerade sehr richtig angemerkt :
"Manchmal denke ich mir, dass diese Gesellschaft schon ziemlich krank ist - wir unterwerfen uns Zwängen und Normen der Bekleidung und nur ein kleiner Teil steht offen dazu, dass es barfuss einfach viel schöner ist ... obwohl es eigentlich alle wissen. Schon komisch, oder nicht ???"

Trotzdem ist die Erwartung weltfremd, soweit mit guten Argumenten und gewachsenem Selbstbewußtsein gerüstet Schuhe für immer in den Schrank zu verbannen (obwohl Andy im gleichen Zusammenhang meinte, daß sie sich darin am wohlsten fühlen) :
Erstens stimmen die Voraussetzungen nicht (wir waren nicht seit Geburt ständig barfuß, deshalb halten wir das Winterhalbjahr eh nicht durch) und zweitens hat nun einmal jeder ein unterschiedlich tolerantes Umfeld.
Sicher aber ist, daß jeder zahllose Gelegenheiten findet, barfuß zu gehen, wenn man sie nur ein bischen sucht und einem fremde Leute hinreichend egal sind.

Übrigens : es gibt auch Menschen, die nur auf unser Vorbild warten (irgendwie hatte ja jeder von uns auch mindestens ein solches Erlebnis). Warum es ihnen vorenthalten ?

Georg

Also : Ich lade alle Leser ein, sofort damit zu beginnen, die Liste der Argumente zu verlängern ! (s. o.).
Das Konzept dieses Beitrags entstand übrigens beim Barfußjoggen. Befreie Deine Füße - es macht auch Deinen Verstand frei !

Die ewige Angst vor anderer Leute Vorurteile

Lorenz ⌂ @, Friday, 09.10.1998, 22:42 (vor 9498 Tagen) @ Georg

Meine Erfahrung: die Leute reagieren auf meine bloßen Füße
entweder gar nicht oder positiv. Es habe sich schon viele nette
Gespräche daraus ergeben.

Das Highlight: beim barfüßigen Bergwandern stand mir plötzlich
der Bürgermeister unserer 15 000-Einwohner-Stadt gegenüber.
"Barfuß, ich sag's ja" rief er. Meine Frau sagte ehrfürchtig:
"Grüß Gott Herr Bürgermeister", während er gleich hinzufügte:
"Ich habe Sie schon öfters in Penzberg barfuß gesehen -- ich finde
das ganz in Ordnung. Ich laufe auch sehr gerne barfuß --zu Hause im Garten."

Auf solche Situationen vorbereitet, hatte ich ein Faltblatt zum Barfußlaufen dabei
(die Kurzfassung meiner Seite http://www.penzberg.de/marktplatz/natur/barfuss.html).
Auf die Frage, ob er meine Seite im Bürgernetz Penzberg mal besuchen wollte,
streckte mir sein Sohn die Hand entgegen.

Ob ich demnächst mal einer barfüßigen Bürgermeisterfamilie begegnen werde? Auf jeden Fall
berichtet meine Frau, daß sie seitdem im Tennisverein freudigst von unserem Stadtoberhaupt
gegrüßt wird.

Nicht nur diese Begegnung, sondern auch sonstige Erfahrungen
zeigen mir, daß die Vorurteile zum Barfußlaufen überwiegend positiv sind!

Also, traut Euch was!
Lorenz

[image] Barfußlaufen in der Natur

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